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Voraussetzungen einer zulässigen Verdachtsberichterstattung

In seinem Urteil vom 31.05.2022 (VI ZR 95/21) beschäftigte sich der BGH mit den Voraussetzungen der Verdachtsberichterstattung zu einem Strafverfahren.

Er stellte hierzu fest, dass ein Angeklagter generell hinnehmen müsse, wenn über die Vorwürfe in der Presse berichtet wird und dadurch eine Identifizierung seiner Person möglich werde.

Der BGH wies jedoch darauf hin, dass keinesfalls eine Vorverurteilung stattfinden dürfe und sich die Berichterstattung auf die in der öffentlichen Hauptverhandlung erwähnten Aspekte beschränken müsse

I. Sachverhalt

Der Kläger ist Zahnarzt in Köln. Er war wegen Betrugs, Nötigung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung angeklagt und wurde zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren verurteilt. Das Verfahren wegen Vortäuschens einer Straftat wurde eingestellt.

Beklagte war die BILD Zeitung. Diese hatte online über den ersten Tag der Hauptverhandlung berichtet. Die Beklagte nannte in ihrem Bericht den vollständigen Vornamen sowie den ersten Buchstaben des Nachnamens, das Alter sowie die Lage der Zahnarztpraxis in der "Kölner Innenstadt" und ermöglichte somit die Identifizierung des Klägers. Die Beklagte berichtete zudem, dass es sich zum Zeitpunkt der Veröffentlichung lediglich um einen Verdacht handelte. 

Der Kläger sah sich durch die Berichterstattung in seinen Persönlichkeitsrechten verletzt und klagte hiergegen, weil die veröffentlichten Daten den Rückschluss auf seine Person zuließen, da es nur ihn als Zahnarzt mit diesen Angaben in der Kölner Innenstadt gegeben habe. Der Kläger kritisierte zudem, dass ihm vor der Veröffentlichung des Artikels nicht – wie bei einer Verdachtsberichterstattung üblich - die Möglichkeit zu einer Stellungnahme eingeräumt worden sei, was die Berichterstattung bereits rechtswidrig mache.

Das Landgericht Köln stimmte dem Kläger in seinen Auffassungen zu und sah den Unterlassungsanspruch insgesamt als gegeben an. Das Oberlandesgericht Köln verbot der Beklagten hingegen lediglich die Passagen, welche von dem Vortäuschen einer Straftat berichteten.

Der BGH wies die Klage nun in allen Punkten ab. 

II. Entscheidungsgründe

Der BGH war der Auffassung, der Unterlassungsanspruch des Klägers sei unbegründet.

Nach Ansicht des BGH muss das Schutzinteresse des Angeklagten hinter dem starken Öffentlichkeitsinteresse an der Berichterstattung durch die Presse zurücktreten. Dieses sei insbesondere bei den vorliegenden Straftaten von hoher Bedeutung. In dem Artikel sei auch klar zum Ausdruck gekommen, dass es sich zu diesem Zeitpunkt lediglich um eine Anklage handelte, was eine Vorverurteilung ausschließe.

Der BGH stellte zudem fest, dass der Kläger auch nicht für die Öffentlichkeit sondern lediglich für einen beschränkten Kreis identifizierbar war.

Weiterhin führte der BGH aus, dass die wahrheitsgemäße Berichterstattung über die Vorwürfe und insbesondere die Begrenzung auf in der Hauptverhandlung getätigte Aussagen, für eine zulässige Berichterstattung sprechen. Es läge gerade kein klassischer  Fall der Verdachtsberichterstattung mehr vor. Aufgrund dessen habe die Beklagte zu den Vorwürfen auch keine Stellungnahme des Klägers einholen müssen.

Der BGH stellte mit seiner Entscheidung fest, dass die für die Verdachtsberichterstattung geltenden Grundsätze, nicht auf die Berichterstattung über eine laufende Hauptverhandlung  anwendbar sind, soweit sich die Berichterstattung auf die dort verhandelten Aspekte und getätigten Aussagen konzentriert. Dabei handelt es sich dann nämlich nicht mehr um eine Verdachtsberichterstattung, sondern um eine Berichterstattung über ein öffentliches Ereignis, an welchem das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwiegt.

Demnach durfte die Beklagte in identifizierbarer Weise über den Kläger berichten.

© Juli 2022, Laura Kunz, Stefan Müller-Römer

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