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„Vitruvianischer Mensch“ darf weiterhin als Puzzle verkauft werden

In eine aktuellen Urteil hat das OLG Stuttgart entschieden, dass das italienische Kulturministerium und das Museum Gallerie dell‘ Accademia in Venedig nicht berechtigt sind, außerhalb Italiens die kommerzielle Nutzung von Leonardo da Vincis „Vitruvianischem Menschen“ zu untersagen. Geklagt hatten drei Tochtergesellschaften eines international tätigen deutschen Spiele- und Buchverlags. Sie begehrten im Wege der negativen Feststellungsklage die gerichtliche Bestätigung, dass ihnen eine solche Nutzung nicht untersagt werden könne – insbesondere nicht unter Berufung auf das italienische „Gesetz zum Schutz des kulturellen Erbes“ (Codice dei beni culturali e del paesaggio).

Die Beklagten beriefen sich auf Art. 107 ff. des italienischen Kulturgesetzes und behaupteten, die Nutzung des Motivs sei auch außerhalb Italiens untersagt. Hiergegen wandten sich die Klägerinnen erfolgreich.

Zentraler Aspekt des Urteils war die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte sowie die Anwendbarkeit italienischen Rechts auf eine Sachverhaltskonstellation außerhalb des italienischen Staatsgebiets. Das Gericht stellte zunächst fest, dass die streitgegenständlichen Handlungen der Beklagten – namentlich das Geltendmachen eines Unterlassungsanspruchs – nicht als hoheitlich im Sinne des § 20 GVG einzustufen sind, sondern als nichthoheitliche Tätigkeit. Somit greife keine Staatenimmunität, und deutsche Gerichte seien zuständig.

Darüber hinaus bejahte das Gericht – zumindest für zwei der drei Klägerinnen mit Sitz in Deutschland – die internationale Zuständigkeit gemäß Art. 7 Nr. 2 EuGVVO (Brüssel Ia-VO), da der behauptete Unterlassungsanspruch im Kern auf eine unerlaubte Handlung im Sinne der Verordnung gestützt werde. Der maßgebliche „Ort des schädigenden Ereignisses“ liege in Deutschland, wo die Produkte vertrieben werden.

Auch eine angebliche Vorwirkung eines bereits in Italien abgeschlossenen einstweiligen Verfügungsverfahrens wurde verneint, da eine solche Maßnahme keine rechtskräftige Entscheidung im Sinne des Art. 29 EuGVVO darstelle und daher keine Sperrwirkung für das Hauptsacheverfahren in Deutschland entfalte.

In der Sache selbst wurde der von den Beklagten geltend gemachte Unterlassungsanspruch verneint. Das Gericht stellte klar: Auch wenn sich das italienische Kulturgesetz auf den Schutz kultureller Güter beruft, könne es keine extraterritoriale Wirkung entfalten. Nach dem in der EU geltenden Kollisionsrecht – konkret Art. 8 Rom II-VO – gilt für vermeintliche Schutzrechtsverletzungen das Recht desjenigen Staates, für dessen Gebiet der Schutz beansprucht wird („lex loci protections“). Damit ist das italienische Recht für Nutzungen außerhalb Italiens nicht anwendbar. Entscheidend ist dabei das Territorialitätsprinzip, ein völkerrechtlich anerkanntes Grundprinzip, das die Geltung staatliche Normen auf das eigene Staatsgebiet beschränkt.

Da das Werk „Vitruvianischer Mensch“ unstreitig gemeinfrei ist und die Beklagten keine andere Rechtsgrundlage aus einem anderen nationalen Recht aufzeigen konnten, bestehe kein internationaler Unterlassungsanspruch.

Ein im nationalen Recht – hier dem italienischen Kulturrecht – geregeltes Nutzungsverbot kann nicht automatisch auf andere Staaten übertragen werden.

© Juni 2025, Svea Klinger, Stefan Müller-Römer

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