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Unzulässige identifizierende Verdachtsberichterstattung

In dem angegriffenen Online-Beitrag auf der Plattform des Beklagten wurde der Kläger namentlich mit einem Unternehmen in Verbindung gebracht, bei dem Anleger nach der Darstellung des Artikels hohe Verluste in Höhe von über 40 Millionen Euro erlitten haben sollten. Dabei wurde untere anderem der Verdacht geäußert, der Kläger sei persönlich als Verkäufer aufgetreten oder habe zumindest in leitender Funktion zu einem Anlagemodell beigetragen, bei dem es zu einem Totalausfall kam. Der Beitrag bediente sich dabei suggestiver Formulierungen wie „möglicherweise“, „aus unserer Sicht“ oder „im näheren Umfeld“, ohne jedoch belastbare Tatsachengrundlagen offenzulegen.

Kernaussagen des OLG Dresden, Beschluss vom 14.04.2025 (Az: 4 U 1466/24):

1. Tatsachenbehauptung – Meinung

Für solche Tatsachen- bzw. Verdachtsbehauptungen gelten strenge rechtliche Anforderungen. Eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist nur dann zulässig, wenn eine sorgfältige Recherche erfolgt, ein Mindestmaß an belegbaren Tatsachen vorliegt und dem Betroffenen vor Veröffentlichung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird.

2. Identifizierende Verdachtsberichterstattung

Für solche Tatsachen- bzw. Verdachtsbehauptungen gelten strenge rechtliche Anforderungen. Eine identifizierende Verdachtsberichterstattung ist nur dann zulässig, wenn eine sorgfältige Recherche erfolgt, ein Mindestmaß an belegbaren Tatsachen vorliegt und dem Betroffenen vor Veröffentlichung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wird. 

3. Kein „Laienprivileg“ für den Betreiber der Website

Der Beklagte könne sich nicht auf das sogenannte Laienprivileg berufen. Er betreibe eine Plattform mit journalistischem Anspruch, führe eigene Recherchen durch und trete als „Chefredakteur“ auf. Daher gelten für ihn die gleichen Sorgfaltspflichten wie für professionelle Journalisten oder Medienhäuser.

 4. Verstoß gegen journalistische Sorgfaltspflichten

Der Beklagte sei seiner Pflicht zur sorgfältigen Recherche nicht gerecht geworden. Es fehlten belastbare Beweise für die geäußerten Verdachtsmomente; die Darstellung erwecke den Eindruck einer Vorverurteilung. Insbesondere sei die an den Kläger gestellte Nachfrage unzureichend gewesen, weil sie nicht sämtliche im Artikel erhobenen Vorwürfe abdecke. Zudem seien die angeblichen Rechercheinhalte, auf die der Beitrag sich stütze, im Artikel selbst nicht dargelegt, sodass dem Leser kein eigener Wertungsmaßstab an die Hand gegeben werde.

5. Persönlichkeitsrechtsverletzung

Die Berichterstattung verletze daher das allg. Persönlichkeitsrecht des Klägers. Auch wenn über misslungene Kapitalanlagen von öffentlichem Interesse grundsätzlich berichtet werden darf, rechtfertige dies im konkreten Fall keine identifizierende Darstellung. Das Interesse des Klägers am Schutz seiner Reputation überwiege das Interesse der Öffentlichkeit an einer namentlichen Nennung.

Nach Auffassung des Gerichts liegt somit eine rechtswidrige Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Klägers im Sinne der Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG sowie Art. 8 Abs. 1 EMRK vor. Zwar sei das öffentliche Interesse an Informationen über gescheiterte Anlageprodukte grundsätzlich legitim, doch genüge im vorliegenden Fall die Darstellung weder den Anforderungen an eine hinreichend begründete Verdachtsberichterstattung noch sei ein überwiegendes öffentliches Interesse an der namentlichen Identifizierung des Klägers erkennbar. Der Kläger sei keine Person des öffentlichen Lebens und auch die Schwere des unterstellten Verhaltens reiche nicht aus, um eine derart eingriffsintensive Maßnahme zu rechtfertigen.

In der gebotenen Abwägung zwischen dem Persönlichkeitsrecht des Klägers und der Meinungs- und Pressefreiheit des Beklagten überwiege somit das Schutzinteresse des Klägers.

© Juni 2025, Svea Klinger, Stefan Müller-Römer

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