Musik-Komposition für TV-Serie
BGH-Urteil zur Beurteilung von Sittenwidrigkeit wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung
Für die Beurteilung, ob Verträge über die Komposition und Produktion von Musik für eine Fernsehserie sowie die Einräumung der Nutzungsrechte an der Musik und deren Verlag wegen eines auffälligen Missverhältnisses von Leistung und Gegenleistung sittenwidrig im Sinne des § 138 Abs. 1 BGB sind, ist auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses abzustellen. Zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare Entwicklungen bleiben außer Betracht.
Mit seinem Urteil vom 21.04.2022 (Az.: I ZR 214/20) entschied der BGH letztinstanzlich über die Klage eines Filmkomponisten gegen den Sender RTL und schafft damit Rechtssicherheit für Komponisten und Produzenten als auch für TV-Sender.
Der Kläger ist Filmkomponist. Er wurde von 1994 bis 2000 mit der Komposition und der Produktion der Filmmusik für die TV-Serie „Dr. Stefan Frank“ beauftragt. Hierzu schlossen der Kläger und der Sender RTL sogenannte Produktionsverträge als auch Musikverlagsverträge ab, wobei der Kläger bereits mit Abschluss der Produktionsverträge verpflichtet wurde auch die Musikverlagsverträge mit RTL abzuschließen.
Für seine Leistungen erhielt der Komponist innerhalb der sechs Jahre ein Pauschalhonorar in Höhe von 597.000,- DM. Zudem erhielt er aufgrund der regelmäßigen Ausstrahlung der Serie GEMA-Ausschüttungen in Höhe von ca. zwei Millionen Euro. Davon erhielt der Sender RTL ca. 40 %, mithin 831.620,- Euro.
Bereits 2017 kündigte der Kläger (Komponist) die Verlagsverträge aus wichtigem Grund und berief sich hierbei auf deren Nichtigkeit. Er war der Ansicht, die Verknüpfung von Kompositionsverträgen mit Musikverlagsverträgen stelle einen kartellrechtswidrigen Missbrauch innerhalb der marktbeherrschenden Stellung von RTL dar. Weiterhin behauptete er, die Verlagsverträge seien auch aufgrund von Wucher sittenwidrig und somit nichtig. Dies begründete er damit, dass die Verlagsverträge keiner AGB-Kontrolle standhielten, weil der Vereinnahmung des Verlegeranteils keine verlegerische Leistung des Sender RTL gegenüberstehe.
Der Kläger begehrte die Feststellung der Unwirksamkeit der verschiedenen Verlagsverträge und hilfsweise die Feststellung der Wirksamkeit seiner fristlosen Kündigung.
Die Klage wurde zuvor sowohl vom Landgericht als auch vom Oberlandesgericht abgewiesen. Mit seinem Urteil vom 21.04.2022 entschied nun auch der BGH, dass die Klage unbegründet sei.
Der BGH stellte fest, dass die dem Kläger gezahlte Pauschalvergütung, welche auf dem Produktionsvertrag basiert, aufgrund der Verknüpfung der beiden Verträge (Produktionsvertrag und Musikverlagsvertrag) auch als Zahlung für die Verlagsverträge anzusehen sei.
Einen kartellrechtlichen Verstoß schloss der BGH bereits deshalb aus, weil der Kläger die von ihm behauptete marktbeherrschende Stellung des Senders RTL nicht substantiiert darlegen konnte.
Auch eine Nichtigkeit des Vertrages aufgrund von Sittenwidrigkeit gemäß § 138 Abs. 2 BGB lehnte der BGH mit der Begründung ab, dass vorliegend weder Wucher vorlag noch die Ausnutzung einer Zwangslage durch den Sender erkennbar war. Der BGH führte dazu aus, dass die Pauschalvergütung des Klägers nicht unangemessen niedrig gewesen sei. Zudem verwies der Verlagsvertrag auf den GEMA-Verteilungsplan, so dass vorliegend keine Sittenwidrigkeit in Form von Wucher vorlag.
Die Annahme des Klägers, dass der Vereinnahmung des Verlegeranteils aus den Musikverlagsverträgen keine verlegerische Leistung des Sender RTL gegenüberstehe und daraus eine Sittenwidrigkeit erfolge, lehnte der BGH ebenfalls ab.
Der BGH stellte fest, dass es für die Beurteilung eines Missverhältnisses auf die objektiven Werte der Leistungen im Zeitpunkt des Vertragsschlusses ankommt. Zu diesem Zeitpunkt nicht absehbare Entwicklungen bleiben außer Betracht, wobei sich die gegenseitigen Leistungen nach den vertraglichen Vereinbarungen bemessen und nicht nach nachfolgenden, zwischen den Parteien geschlossenen Vereinbarungen.
Als geeignetes Mittel zur Bestimmung des objektiven Werts stellte der BGH dabei auf den Marktvergleich ab. Im Urheberrecht kann jedoch auch der branchenübliche Marktpreis für eine Vertragsseite unbillig sein, wenn keine angemessene Gegenleistung besteht. Der Urheber ist an den Gewinnen aus der Nutzung seines Werks angemessen zu beteiligen. Der BGH führte hierzu aus, dass die Beurteilung des OLG, dass vorliegend nach den getroffenen vertraglichen Vereinbarungen kein auffälliges Missverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung im Sinne eines wucherähnlichen Rechtsgeschäfts nach § 138 Abs. 1 BGB bestehe, frei von Rechtsfehlern war.
Der BGH bestätigte zudem die Annahme des OLG, dass der Anwendungsbereich der AGB- Inhaltskontrolle nicht eröffnet sei. Er bestätigte in seinem Urteil, dass gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB die Vorschriften über die Inhaltskontrolle nur für Bestimmungen in AGB gelten, durch welche vom Gesetz abweichende oder ergänzende Regelungen vereinbart werden. Demnach soll durch die AGB-Inhaltskontrolle weder eine Kontrolle der Preise noch der Leistungsangebote ermöglicht werden. Somit findet eine Inhaltskontrolle hinsichtlich solcher Abreden nicht statt, die Art oder Umfang der vertraglichen Hauptleistung und der hierfür zu bezahlenden Vergütung unmittelbar regeln.
Im Sinne des Grundsatzes der Privatautonomie ist es den jeweiligen Vertragsparteien freigestellt, die Leistungen sowie Gegenleistungen zu bestimmen. Folglich mangelt es bereits aufgrund fehlender gesetzlicher Vorgaben an einem Kontrollmaßstab. Vielmehr ist anhand von Auslegung zu ermitteln, welche Pflichten für die Parteien maßgeblich und folglich Hauptleistungspflichten sind.
Der BGH stellte mithin fest, dass die strittigen Verträge alle rechtswirksam waren.
© Juli 2022, Laura Kunz, Stefan Müller-Römer