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Hanseatisches OLG zu CORRECTIV-Berichterstattung

Das juristische Nachspiel zu der CORRECTIV-Berichterstattung über das Treffen von Rechtsextremisten in Potsdam am 25. November 2023 hat mit zwei Entscheidungen des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Hamburg ein vorläufiges Ende gefunden.

An der Zusammenkunft in der Villa Adlon am Lehnitzsee in Potsdam im November 2023 hatten unter anderem Mitglieder von AfD, CDU, ÖVP, der Werteunion und der Identitären Bewegung teilgenommen. Auf der Veranstaltung hatte der rechtsextreme Aktivist Martin Sellner seine Ideen zur sogenannten „Remigration“ vorgestellt, die darauf abzielen, die Ausweisung, Abschiebung, Vertreibung und/oder Deportation sowohl von Asylbewerbern und Ausländern mit Bleiberecht als auch von „nicht assimilierten“ deutschen Staatsbürgern vorzunehmen.

CORRECTIV stellte Mitte Januar 2024 seine Recherchen hierzu unter dem Titel „Geheimplan gegen Deutschland“ vor. Vereinzelte Teilnehmer und Unterstützer des Treffens versuchten, gerichtlich gegen den Artikel bzw. die darin getätigten Aussagen vorzugehen. Das OLG Hamburg hat nun in zwei Verfahren entschieden.

Zum einen entschied es über den Antrag von Dr. Ulrich Vosgerau, Mitglied der CDU und des Kuratoriums der AfD-nahen Desiderius-Erasmus-Stiftung und ehemaliger Privatdozent an der Universität zu Köln. Dort habilitierte er 2012, ist aber seit 2015 nicht mehr dort angestellt und lehrt seit 2018 auch nicht mehr an der dortigen juristischen Fakultät. Nach der Veröffentlichung des Artikels distanzierte sich die Universität zu Köln von Vosgerau und kündigte an, zu prüfen, ob er noch die Voraussetzungen für den Status des Privatdozenten erfülle.

Das Parallelverfahren des anderen Antragsstellers befasste sich mit dem Antrag von Klaus Nordmann, langjähriger AfD-Großspender, der gegen seine namentliche Nennung in dem Artikel vorzugehen versuchte. 

Beide Parteien wurden dabei von RA Carsten Brennecke von der Kanzlei Höcker aus Köln vertreten, die regelmäßig mit der anwaltlichen Vertretung der AfD und einzelner Rechtsextremer in Erscheinung tritt.

Die rechtlichen Auseinandersetzungen konzentrierten sich lediglich auf einzelne Passagen des CORRECTIV-Artikels.

Den Artikel können wir übrigens nur empfehlen, damit jeder sich selbst ein Bild davon machen kann, was für unfassbar menschenverachtende Dinge auf dem Treffen besprochen wurden:

https://correctiv.org/aktuelles/neue-rechte/2024/01/10/geheimplan-remigration-vertreibung-afd-rechtsextreme-november-treffen/

Aufgrund der Faktengrundlage des Artikels waren potenzielle Angriffsmöglichkeiten von Anfang an begrenzt. Daher wurden von den Antragstellern nur vereinzelte Passagen angegriffen.

Bereits das LG Hamburg hatte die Unterlassungsanträge  im Wesentlichen abgewiesen.

Die Beschwerden gegen diese Entscheidungen vor dem OLG Hamburg wurden nun ebenfalls abgewiesen. Das OLG Hamburg stellte dabei klar, dass es der Ansicht des Landgerichts folge. Die Darstellung sei in tatsächlicher Hinsicht zutreffend und erwecke keine falschen Eindrücke insbesondere nicht durch unzulässige Verkürzungen einzelner Aussagen.

Verfahren Vosgerau

Lediglich bezüglich einer kleinen Teilaussage hatte das LG Hamburg dem Antrag von Vosgerau stattgegeben. Dabei ging es um folgende Aussage (nur der unterstrichene Teil wurde gerichtlich untersagt):

„Den Vorschlag, man könne vor den kommenden Wahlen ein Musterschreiben entwickeln, um die Rechtmäßigkeit von Wahlen in Zweifel zu ziehen, hält Vosgerau für denkbar: Je mehr mitmachen, stimmt er zu, umso höher ist die Erfolgswahrscheinlichkeit

Bereits das LG Hamburg hatte entschieden, diese Aussage dürfe in dem Artikel so nicht erwähnt werden, da sie nicht den Tatsachen entspreche. Vosgerau trug im Prozess vor dem LG Hamburg selbst vor, „dass er sich vielmehr so geäußert habe, dass ein massenweises Vorgehen bei Wahlprüfungsbeschwerden gerade nicht sinnvoll sei, und der Erfolg einer Wahlprüfungsbeschwerde nicht davon abhänge, wie oft sie eingereicht werde, sondern davon, wie gut sie begründet sei.“

Vosgerau hat also ausdrücklich nicht seinen Plan bestritten, bei der nächsten Wahl (unabhängig von deren Ausgang) eine Wahlprüfungsbeschwerde zu erheben, um das Vertrauen in den Wahlprozess und das Wahlergebnis zu erschüttern.

Im Übrigen blieben die beiden weiteren Anträge von Vosgerau gegen den Artikel auch vor dem OLG Hamburg ohne Erfolg.

Vosgerau monierte die Wiedergabe seiner Äußerungen während des Treffens und im Rahmen der Rechercheanfragen von CORRECTIV nach dem Treffen. Er ist der Meinung, seine Aussagen seien verkürzt wiedergegeben worden und würden so einen falschen Eindruck erwecken.

In der ersten angegriffenen Passage des Artikels heißt es:

„Inhaltlich gibt es in der Runde keine grundsätzliche Kritik an der Idee des „Masterplanes“, es kommen viele unterstützende Nachfragen. Zweifel gibt es nur an der Umsetzbarkeit. […] CORRECTIV schickte einigen der Teilnehmer im Nachhinein Fragen zu dem Treffen. Unter anderem: Wie stehen Sie im Nachhinein zu den dort getroffenen zentralen Aussagen? […] An die Sache mit der Ausbürgerungsidee von Staatsbürgern in Sellners Vortrag will er sich aber nicht erinnern können.“

Vosgerau habe jedoch auf die Rechercheanfrage geantwortet, dass, nach seiner Erinnerung, nicht von der Ausbürgerung deutscher Staatsbürger gesprochen worden sei, weil dies rechtlich gar nicht möglich sei.

Das Gericht sieht hier keine unzulässige Verkürzung. Es werde kein falscher Eindruck dadurch erweckt, dass der Verweis auf die bestehende Rechtslage weggelassen werde. Vielmehr sei im Artikel mehrfach klargestellt worden, dass es bei der Frage nach der Ausweisung von Staatsbürgern nur darum ginge, dass man zunächst die theoretische Möglichkeit schaffen müsste, bevor man es praktisch umsetzen könne. Gerade darüber wurde aber während des Treffens angeregt diskutiert, gerade weil die rechtliche Möglichkeit noch nicht besteht und man erst die rechtliche Grundlage schaffen müsste, dieses Vorhaben umzusetzen.

Die andere, erfolglos angegriffene Passage lautet:

„Am Nachmittag tritt Ulrich Vosgerau nach vorn … Der Verfassungsrechtler spricht über Briefwahlen, es geht um Prozesse, um das Wahlgeheimnis, um seine Bedenken in Bezug auf junge Wählerinnen türkischer Herkunft, die sich keine unabhängige Meinung bilden könnten. Auf CORRECTIV -Fragen hin bestätigt er diesen Satz später.“

Auch hier sieht das Gericht keine unzulässige Verkürzung oder Erweckung eines falschen Eindruckes. Vielmehr stelle dieser Abschnitt eine zulässige Zusammenfassung dar. Für den unvoreingenommenen und verständigen, durchschnittlichen Leser sei erkennbar, dass es sich um eine Zusammenfassung und nicht um eine wörtliche Wiedergabe handle.

Dieser Eindruck wird auch nicht durch den Nachschub „Auf CORRECTIV -Fragen hin bestätigt er diesen Satz später.“ widerlegt. Die Formulierung sei so zu verstehen, dass der Antragsteller eben nicht ein Zitat oder bestimmten Wortlaut bestätigt habe, sondern dass er allgemein inhaltlich zu seiner Aussage über türkischstämmige Jungwählerinnen stehe.

Verfahren Nordmann

In dem Parallelverfahren versuchte Klaus Nordmann gegen seine namentliche Nennung in dem Artikel vorzugehen.

Das Gericht lehnte seinen Antrag mit der Begründung ab, dass an seiner namentlichen Nennung ein öffentliches Interesse bestehe. Das Potsdamer Treffen löste eine beispiellose Welle öffentlicher Empörung „und mehrwöchige Demonstrationen von historischen Ausmaß“ gegenüber den dort diskutierten Remigrationsplänen aus. Demnach bestehe ein gewichtiges öffentliches Interesse nicht nur an den besprochenen Inhalten sondern auch daran, wer dieses Anliegen neben den Teilnehmenden unterstützt.

Das Verfahren des Klaus Nordmann liefert ein anschauliches Beispiel für den sogenannten Streisand-Effekt. Dieser Effekt beschreibt das Phänomen, dass der Versuch, unliebsame Informationen zu unterdrücken, paradoxerweise oft zu einer erhöhten öffentlichen Aufmerksamkeit führt. Wer so überzeugt von einer politischen Agenda ist, dass er erhebliche Geldmittel dafür bereitstellt, sollte auch bereit sein, öffentlich dazu zu stehen.
So sagt es letztlich auch das OLG Hamburg:

„Angesichts der ausgesprochenen Nebenrolle, die der Antragssteller im streitgegenständlichen Beitrag einnimmt, kann […] von einer „Prangerwirkung“ der Berichterstattung keine Rede sein. Selbst wenn man zu Gunsten des Antragsstellers unterstellt, dass die streitgegenständliche Berichterstattung negative Auswirkungen für den Antragsteller gehabt hat oder haben kann, hätte der Antragsteller dies im Übrigen aus den dargestellten Gründen hinzunehmen.“

Rückendeckung für die Pressefreiheit

Offensichtlich wollten die Antragsteller die gerichtlichen Verfahren als Mittel zur öffentlichen Diskreditierung des Artikels „Geheimplan gegen Deutschland" und zur Untergrabung der Glaubwürdigkeit von CORRECTIV nutzen. Ein ernsthafter Angriff gegen den Artikel war aufgrund der soliden Recherche und sachlichen Darstellung von vornherein aussichtslos. Der Angriff auf einzelne kleine Passagen diente als Vehikel, um öffentlichkeitswirksam die Glaubwürdigkeit der Recherche von CORRECTIV in Zweifel zu ziehen, ohne dafür inhaltlich tragbare Argumente liefern zu müssen.

Das OLG Hamburg verneinte jedoch klar den Vorwurf, dass Tatsachen verkürzt oder falsch dargestellt wurden.

Auch wenn das OLG Hamburg sich in diesem Verfahren nicht ausdrücklich mit den grundrechtlichen Fragestellungen der Presse- und Meinungsfreiheit befasst hat, werden sie durch diese Entscheidungen gestärkt. Artikel 5 Absatz 1 des Grundgesetzes schützt nicht nur das Recht auf Meinungsfreiheit sondern auch die Pressefreiheit und die Informationsfreiheit.

Der Schutz der Pressefreiheit bedeutet, dass Medienorganisationen wie CORRECTIV das Recht haben, über kontroverse Themen und politische Ereignisse zu berichten, solange sie dabei die journalistischen Standards einhalten und Fakten korrekt wiedergeben. Nur so kann die Öffentlichkeit verlässlich und frei informiert werden.

Der Wert dieser Arbeit zeigt sich nicht zuletzt in der bemerkenswerten gesellschaftlichen Reaktion auf diese Veröffentlichung. Ein einzelner Artikel, der Millionen Menschen gleichzeitig auf die Straße bewegte, ist ein herausragendes Beispiel für die Bedeutung der freien Presse in einer freien demokratischen Grundordnung.

© April 2024, Jan Jansen, Stefan Müller-Römer

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