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Beleidigungen im Internet gegen Künast zulässig?

Das Landgericht Berlin hat erstinstanzlich entschieden, dass die harten Beschimpfungen im Netz gegen die Grünen-Politikerin Künast zulässig sind.

Ebnet das Gericht mit dieser Entscheidung den weiteren Weg zulässigen Hasses im Internet?

Renate Künast wurde auf der social-media-Plattform Facebook als „Drecks Fotze“, „Stück Scheisse“, „Schlampe“, „Sondermüll“ und Ähnliches betitelt.

Die Politikerin forderte daraufhin vom Forenbetreiber Facebook die Herausgabe der personenbezogenen Daten der beleidigenden Kommentatoren. Dieses Begehren wurde ihr vom LG Berlin mit Urteil vom 09.09.2019, Az 27 AR 17/19, verwehrt. Künast habe die Beschimpfungen hinzunehmen, so die mit Holger Thiel, Sonja Hurek und Katharina Saar besetzte 27. Zivilkammer des LG Berlin. Das Gericht argumentiert damit, dass die Facebook-Nutzer mit ihren Äußerungen nicht alleine eine Diffamierung beabsichtigt hätten. Sie posteten die Beschimpfungen unter einem Post mit dem Link zu einem Artikel der Welt, wodurch laut Gericht inhaltlich ein Sachbezug hergestellt wurde.

In dem Welt-Artikel geht es unter anderem um einen Zwischenruf der Politikerin zum Thema Sex mit Kindern von vor über 20 Jahren in einer parlamentarischen Pädophilie-Debatte, der ihr vom Verfasser des Posts als Bagatellisierung von sexuellen Handlungen an Kindern ausgelegt wird.

Nach Auffassung des LG Berlin nehmen die Kommentatoren genau auf diesen Inhalt Bezug, sodass sich Beleidigungen wie „Drecks Fotze“ „haarscharf an der Grenze des von der Antragstellerin noch hinnehmbaren“ bewegten.

Diese Entscheidung – so sie denn Bestand hat – würde bedeuten, dass die Schwelle zur rechtswidrigen Beleidigung in Zukunft extrem weit oben angesiedelt wäre.

Es bleibt die Hoffnung, dass diese Entscheidung keinen Bestand haben wird. Denn die Annahme eines Sachbezuges durch das LG Berlin ist – so hart muss man das sagen -offensichtlich Unfug. Wenn im Künast-Fall ein Sachbezug vorläge, dann ließe sich in Zukunft für fast jede denkbare Beleidigung ein Sachbezug konstruieren.

Leider haben die dominierenden sozialen Netzwerke dazu geführt, dass die vielen verwirrten Gestalten, die es in jeder Gesellschaft gibt und denen vor den Zeiten des Internets nie jemand zugehört hat, plötzlich ein Sprachrohr besitzen und ihr absurdes Gift relativ gefahrlos verspritzen können.

Von Seiten des Gesetzgebers und vor allem von Seiten der Rechtsprechung müsste dem viel stärker entgegengewirkt werden.

Wenn man in Relation setzt, wie intensiv selbst kleinste Verkehrsordnungswidrigkeiten wie Falschparken oder Geschwindigkeitsübertretungen von unter 10 km/h verfolgt werden, steht dies in keinem Verhältnis zur Straflosigkeit schwerster Beleidigungen im Internet. Hier liegt ein offensichtliches Missverhältnis vor, das durch solche Entscheidungen geradezu plakativ zu Tage tritt.

Auch wir durften die Auswirkungen dieser Entscheidung bereits am eigenen Leibe erfahren.

Das Berliner Urteil scheint schon nach wenigen Tagen auch beim Landgericht Köln angekommen zu sein.

So hat die 28. Kammer des Landgerichts Köln kürzlich die Auffassung vertreten, ähnlich dem Künast-Urteil, extrem einschneidende Persönlichkeitsrechtsverletzungen nicht sanktionieren zu wollen. Konkret ging es in diesem Fall um die Erstattung von Anwaltskosten nach einer außergerichtliche erwirkten Unterlassungserklärung und um Geldentschädigung. Beides lehnte die 28. Zivilkammer des Landgerichts Köln ab.

Sie erweckte den Eindruck, das Ausmaß der ungezügelten Verbreitung beleidigender Äußerungen im Internet in unserer Zeit noch nicht erkannt zu haben.

Dabei ist gerade vor dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Verrohung des Diskurses auch von den niederen Gerichten zu erwarten, dass sie sich nicht formalistisch hinter alten – in ganz anderen Zeiten und zu ganz anderen Sachverhalten gefällten – Entscheidungen verstecken. Vielmehr sollte jeder Richter eine angemessene Rechtsfortbildung betreiben, indem Äußerungen sehr sorgfältig unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Berücksichtigung der aktuellen massiven Zunahme solcher Äußerungsdelikte darauf überprüft werden, ob es sich um eine Persönlichkeitsrechtsverletzung oder doch noch um freie Meinungsäußerung handelt.

Die Grenzen der freien Meinungsäußerung berühren dabei zwangsläufig die Grenzen der Persönlichkeitsrechtsverletzung. Die Übergänge sind - abstrakt gesehen - fließend. Aber im konkreten Einzelfall lässt sich im Abwägungsprozess meist ein klares Übergewicht konstatieren.

Das Zusprechen einer Geldentschädigung sollte deutlich großzügiger gehandhabt werden, weil nur das wirklich „weh“ tut.

So liegt es auch im Künast-Fall. Die Bezeichnung als „Drecks Fotze“ lässt definitiv keinen Auslegungsspielraum, um sie als angemessen sachbezogen im Hinblick auf eine parlamentarische Debatte über den Strafrahmen von sexuellen Handlungen an Kindern einzuordnen.

Wie die Landrichter in Berlin zu dieser abstrusen Bewertung kommen, können sie nur selbst beantworten. Ihre bis dato bekannte Urteilsbegründung bietet jedenfalls keine juristisch vernünftigen Anhaltspunkte.

Folglich hat auch das Satireportal „Der Postillion“ entsprechend reagiert und die „Maßstäbe“ der Richter auf sie selbst angewandt, wobei Folgendes herauskam:

„Drecksfotzenrichter fällen geisteskrankes Urteil gegen Renate Künast, das Justitia wie eine Schlampe aussehen lässt, die auf den Sondermüll gehört.“

Ob das Landgericht Berlin in diesem Fall auch so entspannt ist, bleibt abzuwarten. Noch ist von einer Reaktion nichts bekannt geworden. Im Allgemeinen sind Richter in eigener Sache meist deutlich weniger entspannt, als wenn sie Dritten etwas zumuten.

Es bleibt zu hoffen, dass Frau Künast Berufung einlegen und die nächste Instanz sich vernünftig mit diesem Fall beschäftigen wird.

Vor diesem Hintergrund bleibt ebenfalls zu hoffen, dass auch das LG Köln und andere Landgerichte sich besinnen und sich von der allgemein um sich greifenden Verrohung nicht anstecken lassen.

Nur weil immer mehr Persönlichkeitsrechtsverletzungen begangen und Beleidigungen und Hasskommentare gepostet werden, macht sie das nicht weniger schlimm. Es ist Sache der Justiz, dem durch entsprechende Rechtsfortbildung Einhalt zu gebieten.

Die Gesetze müssen dafür jedenfalls nicht verschärft werden, wie auch gerne immer wieder - zu Unrecht - gefordert wird. Denn die Gesetze reichen aus. Man muss sie nur auch anwenden wollen. An diesem Willen fehlt es leider zu oft bei Polizei und Justiz.

Merke: Man muss nicht in jeder abstrusen Äußerung verzweifelt einen Sachbezug suchen. Was wie Hetze aussieht, ist es nämlich meistens auch.

© Stefan Müller-Römer, Oktober 2019, Alle Rechte vorbehalten

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