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Assange und die USA – Warum die USA kein Rechtsstaat sind

Anlässlich des Gerichtsverfahrens in London über den Auslieferungsantrag der USA betreffend Julian Assange von Wikileaks muss leider klar festgestellt werden, dass die USA kein Rechtsstaat sind.

Zum Hintergrund: Die USA wollen Assange anklagen (und lebenslänglich hinter Gitter bringen), weil über die Plattform wikileaks „geheime“ Dokumente veröffentlicht wurden, aus denen glasklar Kriegsverbrechen der USA hervorgehen. Angeblich habe Assange dafür aktiv gehackt. Dafür gibt es allerdings noch nicht einmal ein Indiz geschweige denn einen Beweis. Selbst wenn es so wäre, dass er sich diese Dokumente aktiv verschafft hätte, wäre das in Ordnung. Wenn ein Staat verbrecherisch handelt und das dann mit dem Siegel der Geheimhaltung unter der Decke halten will, ist es die Pflicht jedes anständigen Bürgers, diese Sachverhalte öffentlich zu machen. Erst Recht ist es die Pflicht von Journalisten. 

Wer sich noch erinnert: Verhaftet wurde Assange damals wegen angeblicher Vergewaltigung in Schweden. Diese Anschuldigung stellte sich später als Räuberpistole heraus. Diesen Verdacht gab es zwar von Anfang an, aber weil es die „großen“ USA waren, die hinter ihm her waren, sprach ihn keiner klar aus. Vielmehr wurde Assange in Schweden interniert und dann nach langer Zeit nach England überstellt. Dort flüchtete er in die ecuadorianische Botschaft. Lesenswert zum Hintergrund: https://www.dw.com/de/was-man-über-den-fall-assange-wissen-sollte/a-52448613 + https://www.sueddeutsche.de/politik/assange-wikileaks-justiz-chronologie-1.4406213 

Wie sich jetzt herausgestellt hat, haben die USA unter der Trump-Administration allen Ernstes überlegt, ihn dort ermorden zu lassen. Also genau das, was Saudi-Arabien mit Kashoggi gemacht hat oder was Russland permanent mit missliebigen Personen insbesondere Journalisten macht. Dazu mehr hier: https://www.sueddeutsche.de/politik/wikileaks-assange-usa-1.5452582

Das Vorgehen und die Pläne der USA sind so unfassbar, dass man aus dem Kopfschütteln gar nicht mehr herauskommt. Denn die USA behaupten von sich selbst nach wie vor, ein ordentlicher „westlicher“ Rechtsstaat sein. 

Der Fall Assange ist nach Guantanamo und nach Edward Snowden jedoch der dritte Fall, der leuchtturmmäßig aufzeigt, wie deformiert die USA in rechtlicher Hinsicht sind und der das Urteil rechtfertigt, dass es sich nicht mehr um einen Rechtsstaat handelt. Recht und Gesetz werden in den USA in einer nicht mehr hinnehmbaren Form verbogen und missachtet, insbesondere wenn es um vermeintlich staatspolitische Interessen der USA geht. Eigentlich genügt es schon, sich normale Strafprozesse anzusehen, um zu wissen, mit was für einem abenteuerlichen und fehlerhaften Rechtssystem man es in den USA zu tun hat. Die Jury-Rechtsprechung ist eine Katastrophe, weil natürlich Laien völlig ungeeignet sind, um in schwierigen Fällen Beweise und Indizien vernünftig zu würdigen, wenn schon Staatsanwälte und Richter es häufig nicht können. 

Zurück zu Assange: Wenn ein Journalist für die Enthüllung von Verbrechen des immer noch mächtigsten Landes der Welt, das von sich behauptet, das leuchtende Vorbild in Sachen Freiheit zu sein, angeklagt wird, ist das ein unfassbarer Skandal. Dieser müsste bei uns noch viel stärker thematisiert werden, weil es um die Grundfesten unserer staatlichen Verfasstheit und letztlich unserer Freiheit geht. 

Wenn wir die freundschaftliche Beziehung zu Amerika ernst nehmen, dann müssen wir klar sagen, dass dieses Vorgehen ein Verbrechen ist und dass dieses Vorgehen die gesamten Werte, die der Westen sich auf seine Fahne schreibt (und die er angeblich auch in Afghanistan verteidigt hat), erneut ad absurdum führt. Zu Recht müssen sich doch Länder wie China, Russland, Iran oder Saudi-Arabien ermuntert fühlen, weiterhin Gleiches zu tun, was sie übrigens auch die ganze Zeit schon machen. Sie können, wenn man ihre Menschenrechtsverbrechen anklagt, immer mit dem Finger auf die USA zeigen, obwohl es natürlich keine Gleichheit im Unrecht gibt. Lesenswert dazu auch: https://www.sueddeutsche.de/meinung/wikileaks-assange-auslieferung-pressefreiheit-1.5162858 

Die Stärke unserer freiheitlichen Gesellschaft besteht u.a. darin, dass Whistleblowing bzw. die Aufdeckung staatlicher Gesetzesverstöße möglich und prinzipiell nicht strafbar ist. Wer das angreift, greift das Fundament unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung an und ist damit nichts anderes als der wahre „Staatsfeind“. Denn natürlich darf es nicht sein, dass ein Rechtsstaat staatliche Verbrechen als geheim einstuft, wie es die USA nicht nur im Fall Assange tun, um so diejenigen, die die Verbrechen aufdecken, als Staatsfeinde behandeln zu können, die die Sicherheit der USA gefährden würden. Die Verbrecher sind nicht die Aufdecker sondern die Täter und die staatlichen Helfer, die diese Taten vertuschen wollen, weil angeblich die nationale Sicherheit gefährdet sei.

Diese Beurteilung gilt also auch für die Elemente im deutschen Sicherheitsapparat, die ebenso denken. Denn diese verquere Sichtweise gibt es natürlich nicht nur in den USA sondern auch in Deutschland und in Europa.

Auch in Deutschland gibt es seit Jahrzehnten die Tendenz zu immer mehr Überwachung, weil Kriminalität und Terrorismus angeblich nicht mehr anders bekämpft werden können. Das ist – so deutlich und so knapp muss es gesagt werden – totaler (vorsätzlicher) Blödsinn. Den Bürgern unseres Landes, die der Überwachung in großen Teilen nicht so kritisch gegenüberstehen wie die aufgeklärten (denn es gibt ja auch andere) Juristen, werden hier vorsätzlich die Sinne vernebelt. Jede vernünftige Untersuchung und Behandlung des Themas Kriminalitäts- und Terrorismusbekämpfung kommt zu der klaren Erkenntnis, dass es die mangelhafte Arbeit bei Polizei und Staatsanwaltschaft ist, die die (präventive) Aufdeckung oder die (nachträgliche) Aufarbeitung behindert. Dazu gibt es ein sehr lesenswertes Lehrstück zum Kriminalfall Wirecard mit dem schönen Titel „Failed State Germany“ 

https://www.heise.de/tp/features/Die-Wirecard-Connection-deutscher-Behoerden-6261779.html?seite=all 

Dieser Artikel belegt neuerlich meine These, dass Polizei und Staatsanwaltschaft häufig nicht ordentlich arbeiten, nicht zuletzt weil der Fokus falsch ausgerichtet ist. Bei solcher Kritik schreien zwar regelmäßig alle „Konservativen“ und die Polizeigewerkschaften auf. Es ist aber Fakt. Würde bei mit relevanter Strafandrohung versehener sowie bei „staatsgefährdender“ Kriminalität intensiver ermittelt, gäbe es eine wesentlich höhere Aufklärungsquote. Exemplarisch festmachen kann man das an den Aufklärungsquoten im Straßenverkehr. Im Straßenverkehr wird gerade bei Geschwindigkeitsübertretungen mit immensem Aufwand ermittelt und deswegen auch fast alles aufgeklärt.

Beim Thema Bandenkriminalität und auch Terrorismus wird im Verhältnis dazu mit lächerlichem Aufwand ermittelt. Hinzu kommen die simplen handwerklichen Fehler, die die Polizei hier macht, wie sich nicht zuletzt bei einigen terroristischen Anschlägen gezeigt hat. Insbesondere beim Rechtsterrorismus kommt es regelmäßig zu „unerklärlichen“ Fehlern, die kein gutes Licht auf unseren Sicherheitsapparat werfen. Vielmehr sind sie ein klares Indiz dafür, dass wir offensichtlich rechtsnationale bis rechtsextremistische Tendenzen bei viel zu vielen Polizeibeamten haben. Das ist unser spezifisches Rechtsstaatsproblem. 

Zurück zu den USA: Verglichen mit den USA geht es unserem Rechtsstaat noch verhältnismäßig gut. Die USA sind das erschreckende Beispiel für einen „Failed State“ auf allen Ebenen. Die Todesstrafe ist das Dauerthema, das sich ein demokratischer Rechtsstaat, erst Recht ein so desolater wie die USA, überhaupt nicht leisten kann. Aber in den letzten Jahren hat sich gezeigt, dass dort noch nicht einmal das Wahlrecht vor den Zerstörungsaktionen der rechtspopulistischen Hetzer bei den Republikanern sicher ist, Republikaner, die man übrigens im deutschen Koordinatensystem als Nazis einsortieren müsste. Selbst bei den Demokraten gibt es viele, die auf Höhe der AfD oder sogar rechts davon stehen. Nur wenn man diese Verhältnisse in den USA aus europäischer Sicht analysiert und richtig einordnet, erklärt sich überhaupt, wie die USA so abdriften konnten, dass sie Assange nicht nur mit allen unrechtmäßigen Mitteln mundtot machen wollen, sondern sogar geplant haben, ihn in England zu ermorden, weil sie seiner in ihren Augen nicht schnell genug habhaft geworden sind. 

Daran Mitschuld trägt natürlich auch Obama und die demokratische Partei, die in dieser Sache genauso mitgemacht haben, weil die Amerikaner in Sachen Scheinheiligkeit leider alle gleich sind. Die Verbrechen anderer Nationen werden gerne lauthals kritisiert, während die USA gleichzeitig genau das Gleiche machen. Im Irakkrieg und in Afghanistan ist es zu schrecklichen Verbrechen amerikanischer Soldaten gekommen, die vor allem auch deswegen aufgeklärt werden müssten, damit die Strukturen, die solche Taten begünstigen, aufgedeckt und geändert werden können. Genau das wollen die USA aber verhindern, weil die „glorreiche“ Nation eine völlig verblendete Selbstwahrnehmung hat, in der eigene Verbrechen nicht vorkommen. Letztlich diskreditieren die USA damit das Demokratie-Modell, weil sie sich selbst nicht an die Regeln halten, die sie Dritten auferlegen wollen. 

Edward Snowden sitzt seit Jahren in Russland, weil Amerika (gerade auch unter der Obama-Administration) ihn verfolgt. Die verbrecherische russische Autokratie in Moskau kann sich mit Snowden schmücken, weil der Westen und gerade auch die Bundesrepublik Deutschland ihm kein Asyl anbieten, weil wir unsere amerikanischen „Freunde“ nicht verärgern wollen. Wie feige sind wir eigentlich? Fraglich ist mittlerweile leider, ob Snowden hier sicher wäre, weil man den USA ja zutrauen müsste, dass sie ihn aus Deutschland einfach entführen oder gleich hier umbringen würden, weil sie im Zweifel damit rechnen könnten, dass die deutsche Regierung wegschauen würde. Für diese Scheinheiligkeit und Feigheit schäme ich mich seit Jahren. Aus politischer Opportunität wird alles an rechtlichen Standards über Bord geworfen, was uns von den verbrecherischen Regimen dieser Welt unterscheidet. Wenn ich dann einige unserer Politiker immer vom Rechtsstaat schwadronieren höre (und das trifft alle Farben ausnahmslos), werde ich wirklich wütend. Es wird Zeit, diese Versäumnisse und diese Scheinheiligkeit endlich lauter anzuklagen. 

Martin Sonneborn hat es dieser Tage schön auf den Punkt gebracht: Unsere Freiheit wird nicht am Hindukusch verteidigt; sondern in Belmarsh. (Dort sitzt Assange aktuell im Hochsicherheitsgefängnis.)

Free Assange!

© November 2021, Stefan Müller-Römer, Alle Rechte vorbehalten

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